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Multitasking ist nichts anderes als die Gelegenheit, viele Dinge gleichzeitig zu vermasseln.

Steve Uzzell

Prolog: Fehlt die wirklich etwas, wenn du nicht multitaskingfähig bist?

Wie oft ich früher als Kind etwas nicht mitbekommen habe, weil ich gerade Playstation gespielt oder TV geschaut habe. Geht es dir ähnlich, wenn du während eines Meetings mal schnell eine Mail beantwortest und merkst, dass du die letzten 5 Minuten nichts mitbekommen hast? Na dann fehlt dir wohl die Multitaskingfähigkeit.

Uns wird oft erzählt, dass die Aufgaben nicht zu groß und zu viel sein können, sondern lediglich deine Fähigkeiten zu gering sind, diese zu bewältigen. Da liegt die Lösung auf der Hand: besuche eine Zeitmanagement-Schulung, welche dir auch die “Schlüsselkompetenz” Multitasking näher bringt. Es gibt sogar diverse Kurse, in denen das Multitasking erlernt werden kann. Ich habe noch nie einen besucht, finde es jedoch sehr befremdlich, wenn Unternehmen versuchen die zu hohe Aufgabenlast des Mitarbeiters zu kompensieren versuchen, indem sie ihn noch weiter auf Effizienz trimmen.

Wir besprechen, was es mit dem Multitasking auf sich hat und ob Multitasking wirklich eine erstrebenswerte Kompetenz ist oder ob das oben stehende Zitat vielleicht eher den Nagel auf den Kopf trifft. Dabei betrachten wir zum Schluss auch das Gerücht, dass Frauen mehr Multitaskingfähigkeiten besitzen als Männer.

Warum schreien alle nach Multitasking?

Die Digitalisierung treibt uns zu mehr Effizienz

In diesen Zeiten haben wir uns längst von der eintönigen handwerklichen Berufswelt gelöst. Nicht zuletzt die Digitalisierung sorgt dafür, dass zu jedem Zeitpunkt neue Aufgaben, Antworten oder Informationen per Mail, Smartphone oder anderen Kommunikationsmitteln hereinkommen.

Von der Ablenkung durch Online-Werbung und Social Media ganz abgesehen, sind die Erwartungen an eine höhere Flexibilität und Erreichbarkeit weiter gestiegen. Jemals alles abarbeiten zu können, scheint nicht mehr möglich zu sein. Wir fühlen uns getrieben von der Außenwelt und erschlagen von unseren Aufgaben.

Das eigene Verhalten muss sich demnach ebenfalls an die Anforderungen anpassen. Doch wie genau sollen wir uns verändern? Das Selbstmanagement verfolgt das Ziel, neben dem Fokus auf anstehende Aufgaben, auch die Selbstverantwortung, Selbstentwicklung und Selbsterkenntnis zu fördern, sowie eine Lebensgestaltung zu erreichen, welche sich an den persönlichen Werten und Prinzipien orientiert.

Das Selbstmanagement geht über das reine planen der verfügbaren Zeit hinaus. Eigene Stärken und Schwächen gilt es zu erkennen, das Setzen von handlungswirksamen Zielen, lebenslangem Lernen, die verfügbare Zeit effektiv nutzen, Belastungen zu reduzieren und vorhandene Ressourcen gezielt einzusetzen. 

Wer zu viele Aufgaben hat, arbeitet nicht gut genug, oder?

Oftmals wird allerdings der Ausweg aus dieser Aufgabenflut darin gesucht, besser mit diesen Aufgaben umzugehen. Durch besseres Zeitmanagement können die Aufgaben strukturiert und effizient abgearbeitet werden. Wer es jetzt noch schafft, Aufgaben parallel abzuarbeiten, wird großen Erfolg in der heutigen Arbeitswelt haben.

Wenn du während eines Meetings deine Mails abarbeitest, dann hast du schon wieder 1 Stunde gespart, die du mit anderen Aufgaben oder weiteren Meetings verplanen kannst. Vielleicht schaffst du es auch, während du arbeitest noch nebenbei das Telefonat mit dem Vorgesetzten zu erledigen. Wow! 

Hört sich das für dich vernünftig an? Bei mir schlagen allein beim Gedanken daran sämtliche Stresssensoren aus und wollen die Flucht einleiten. Mir fehlt da ein wichtiger vorgelagerter Schritt. Bevor ich versuche die ganzen Aufgaben irgendwie abzuarbeiten, möchte ich zunächst den Blick schärfen, welche Aufgaben wirklich für mich und meine Ziele wichtig sind.

Es wird immer zu viele Aufgaben für dich geben

Denn sei ehrlich, je schneller du die Aufgaben abarbeitest, desto schneller kommen immer neue Aufgaben. Du wirst also niemals fertig, erreichst nie den Zeitpunkt dich zurücklehnen zu können.

Es läuft doch so ab: Du wirst schneller mit deinen Aufgaben fertig? Super. Dann unterstütze doch die anderen. Diese gewöhnen sich daran, dass du ihnen hilfst. Und so kommen von allen Seiten immer mehr Aufgaben auf dich zu. Mir kommt da sofort dieses Bild mit dem Hund in den Sinn, der eine fest fixierte Wurst vor der Nase hat und sie demnach nie erreichen kann, egal wie schnell er läuft. So läuft es auch mit deinen Aufgaben. Es gibt genügend zu tun und wird es immer geben – egal wie effizient du arbeitest. 

Für mich ist der Ruf nach einer Multitaskingfähigkeit eher die Bekämpfung des Symptoms zu vieler Aufgaben. Dauerhafter Erfolg und vor allem Gesundheit sind dadurch nicht sichergestellt. Es fehlt eher an der Fähigkeit sich und seine Aufgaben zu reflektieren und zu manchen Dingen auch Nein sagen zu können. Wenn die Aufgabenflut an der Ursache angepackt wird, dann entsteht auch weniger Bedarf daran, ein Effizienzmonster zu werden.

Davon abgesehen, kann Multitasking dennoch erlernt und in den Arbeitsalltag integriert werden? Kann ich mir dadurch vielleicht auch mehr Freizeit verschaffen? Das schauen wir uns im nächsten Teil an.

Was ist  Multitasking?

Definition und Funktion des Multitaskings

Multitasking beschreibt eine augenscheinliche simultane Abarbeitung mehrerer Aufgaben. Der Begriff hat seinen Ursprung in der Informatik, laut der es nur den Anschein einer gleichzeitigen Abarbeitung mehrerer Aufgaben durch schnelle Wechsel macht. Computerprozessoren können sich also immer nur auf eine Aufgabe konzentrieren, schaffen durch schnelle Fokuswechsel (Taskswitching) jedoch eine Form des Multitaskings.

Ein Bericht am Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Leipzig sagt, dass ein sensorischer (Sinnesleistungen: hören, sehen, riechen) und zusätzlich ein motorischer (Bewegung) oder kognitiver Prozess (Wahrnehmung, Weiterverarbeitung) simultan ablaufen können. Wir Menschen können also gleichzeitig gehen und sehen, wie es bei einem Spaziergang der Fall ist. Wir können jedoch nicht reden und schreiben, da dies zwei kognitive Prozesse sind.

Erklärt wird dies mit der sogenannten Bottleneck-Theorie, nach welcher die Steuereinheit des Gehirns, der präfrontale Kortex, als Flaschenhals beim Multitasking angesehen wird und nur einen Prozess zulassen kann. Dieses Bottleneck kann jedoch durch Automatisierung von Prozessen umgangen werden und so die Multitaskingleistung erhöhen, wodurch diese hochautomatisierten Tätigkeiten keine bewusste Aufmerksamkeit mehr benötigen. 

Automatisierung ist das Zauberwort

Wir haben bereits einmal über das Modell der vier Lernstadien zum Kompetenzaufbau gesprochen (hier). Es beschreibt den Weg von einer unbewussten Inkompetenz bis zur unbewussten Kompetenz. Genau das ist der Zustand, in welchem wir von einer hochautomatisierten Tätigkeit sprechen.

Nehmen wir als Beispiel das Autofahren. Als Kind nimmst du gar nicht wahr, dass du nicht Autofahren kannst. Mit steigendem Alter wächst der Wunsch selbst ein Auto fahren zu können, du wirst dir deiner Inkompetenz bewusst. Nachdem du den Führerschein gemacht hast, wurde dir die Kompetenz sogar bescheinigt.

Und jetzt erinnere dich mal zurück. Wie anstrengend war es für dich, dich gleichzeitig mit Freunden im Auto zu unterhalten, das Fahrzeug zu steuern und auf den Verkehr zu achten? Das ausüben dieser Tätigkeit hat dich noch viel Konzentration (kognitiv) gekostet. Mit der Zeit wurde es immer einfacher und mittlerweile musst du während der Autofahrt nicht mehr überlegen, wann du wie den Gang wechselst und wie du auf der Autobahnauffahrt beschleunigst.

Du hast dir also eine unbewusste Kompetenz angeeignet, die es dir nun ermöglicht ohne große Anstrengung ein Fahrzeug zu bewegen.

Anspruchsvolle Aufgaben verhindern Multitasking

Dies beschreibt, dass wir durchaus fähig sind, mehrere Tätigkeiten gleichzeitig auszuführen, sofern keine der beiden Tätigkeiten eine größere kognitive Anstrengung bedarf. Du kannst spazieren und Musik hören, bügeln und TV schauen, auch gehen und dich dabei unterhalten. Doch wenn du in ungewohnter Umgebung Auto fährst oder spazieren gehst, blendest du das Radio automatisch aus oder verläufst dich, wenn du mit jemanden telefonierst.

Sobald die vermeintlich automatisierte Aufgabe etwas mehr Konzentration beansprucht als es die andere kognitive Aufgabe zulässt, wird sie nicht mehr korrekt ausgeführt. In unserer Arbeitswelt zeigt sich das, wenn wir in einem Meeting plötzlich angesprochen wurden und merken, dass uns die letzten Minuten des Gespräches nicht präsent sind.

Das Gehirn kann die Aufmerksamkeit sogar aktiv auf eine Aufgabe richten und gleichzeitig die Aufmerksamkeit anderer Sinneskanäle unterdrücken. Diese Konzentrationsblindheit verstärkt sich, je anspruchsvoller die Aufgabe ist.

Hier möchte ich einmal den Begriff “Deep Work” einwerfen. Dort wird sich mit bestimmten Techniken genau diese Fähigkeit zu Nutze gemacht. Wer also konzentriert an einer schwierigen Aufgabe arbeitet, nimmt Nebengeräusche weniger stark wahr. Das heißt im Umkehrschluss, dass die Störungsempfindlichkeit steigt, je leichter die Aufgabe ist.

Teste deine Multitaskingfähigkeit

Das kannst du dir mit 2 kleinen Experimenten vergegenwärtigen. Im ersten Experiment wirst du deine Aufmerksamkeit während einer Alltagssituation testen. Im zweiten Experiment zeige ich dir, dass es effizienter ist, wenn du Aufgaben nacheinander abarbeitest.

Die Mail während eines Meetings

Ich möchte mit dir eine typische Arbeitssituation kreieren, in der du beispielsweise an einem Meeting teilnimmst, in welchem du eher passiv beteiligt bist und somit dem Impuls nachgibst, nebenbei Mails zu schreiben.

Such dir dafür zunächst einmal ein YouTube Video heraus, in welchem etwas erklärt wird, womit du dich halbwegs auskennst. Die Dauer von 5 Minuten reicht aus. Während du das abspielst, schreibst du dir selbst eine Mail in welcher du dir den gestrigen Tagesablauf erzählst. Sobald das Video aufgehört hat, fasst du kurz zusammen, was du vom Video behalten hast.

Und? Vermutlich hast eine der beiden Aufgaben nicht zufriedenstellend erledigen können, wahrscheinlich sogar beide nicht. Dazu war es noch kognitiv sehr anstrengend sich zu konzentrieren.

Jetzt machst du es nacheinander. Schreibe während des Videos mit und anschließend deine Mail. Wie viele neue Dinge hast du im Video erfahren, obwohl du es schon einmal gehört hast? War es einfacher, beides nacheinander durchzuführen? 

Buchstaben- und Zahlensalat

Auch dieser Test setzt sich aus zwei Durchläufen zusammen. Du benötigst nur die Stoppuhr deines Smartphones.

Du beginnst von 1 bis 20 zu zählen und anschließend sagst du das Alphabet bis zum Buchstaben T auf. Hier stoppst du die Zeit. Im zweiten Durchlauf vermischst du beides. Du startest mit 1A, 2B bis du schließlich bei 20T endest. Und stoppe wieder die Zeit.

Durchgang 1: 1, 2, 3, . . . 19, 20  + A, B, C, . . . S, T

Durchgang 2: 1A, 2B, 3C, . . . 18R, 19S, 20T

Und? Auch hier hast du vermutlich gemerkt, dass solch einfachen Dinge wie das Alphabet und die Zahlen bis 20 dich aus dem Konzept bringen, sobald du dich stark konzentrieren musst. Auch wenn du beides seit der ersten Klasse beherrschst, hast du nun vermutlich ein Vielfaches an Zeit benötigt.

 

Der Versuch des Multitaskings bei anspruchsvollen Aufgaben kann also negative Effekte hervorrufen, wie einer höheren Fehleranfälligkeit, Ineffizienz und letztendlich auch zu mentaler Erschöpfung führen. Du hast gemerkt, dass diese sehr einfachen Aufgaben sowohl mehr Zeit in Anspruch nehmen und trotzdem qualitativ schlechter ausgeführt wurden.

Ich möchte, dass du dir jedes Mal gut überlegst, ob du das in Kauf nehmen möchtest, wenn du einmal wieder den Impuls verspürst, während eines langweiligen Meetings eine Mail zu schreiben. Frage dich stattdessen lieber, warum du überhaupt an diesem Meeting teilnimmst. 

Wann und wie kannst du Multitasking anwenden?

Geschäftigkeit ist nicht gleich Produktivität

Wer sofort auf neu auftretende Probleme mit Aktionismus reagiert, ohne die vorige Aufgabe abgearbeitet zu haben, der praktiziert augenscheinlich Multitasking, indem er ständig zwischen Aufgaben wechselt, ohne diese wirklich abzuarbeiten und voranzukommen.

Es gibt immer sehr viele Probleme, die um sofortige Aufmerksamkeit buhlen. Wer auf jedes dieser Probleme sofort reagiert, der verfällt der Aktionssucht. Die wiederkehrenden Wechsel zwischen den leichten Aufgaben, wie die fortwährende Bearbeitung von Mails oder kurze Telefonate, können den ganzen Arbeitstag ausfüllen, sind jedoch nur bedingt zielführend. Diese ständige augenscheinliche Produktivität vermittelt das Gefühl von Wichtigkeit, führt jedoch zu wenigen Ergebnissen. Neben der zu berücksichtigen Priorisierung von Aufgaben, gibt es Probleme, die werden am besten gelöst, wenn nichts unternommen wird oder bei denen kein sofortiges Handeln notwendig ist. Wirkliche Produktivität entsteht nicht durch die sofortige Reaktion auf kleine Aufgaben.

Multitasking funktioniert nur bei Routinetätigkeiten

Multitasking funktioniert ausschließlich bei automatisierten Prozessen. Das Verfassen von Mails während eines Telefonates, Protokolle während eines Meetings zu lesen – hier sind die kognitiven Anforderungen fernab von Automatisierung, da selten dieselben Mails verfasst oder dieselben Gespräche geführt werden. 

Es gilt also, dir Tätigkeiten herauszusuchen, die immer gleich ablaufen. Je öfter du sie auf dieselbe Weise wiederholst, desto schneller wird diese Tätigkeit zu einer bewussten Kompetenz. 

Doch was für Tätigkeiten sollen das sein? Die Tests haben dir gezeigt, dass es nichts ist, wobei du aktiv zuhören oder nachdenken musst. Das schließt also sehr viele Tätigkeiten im beruflichen Kontext aus und das ist auch gut so! Mails sortieren oder die ToDo-Liste aufräumen sind möglich. Alles darüber hinaus bitte nicht während Meetings oder Telefonaten versuchen. Und im selben Kontext auch nicht während des Autofahrens mit dem Handy Nachrichten schreiben!

Sind Frauen besser im Multitasking?

Ich habe wirklich viel rüber Multitasking gelesen. Gerade die landläufige Meinung, dass Frauen mehr Dinge gleichzeitig können, Männer jedoch nicht, wurde dabei auch immer wieder thematisiert. Letztendlich gab es Hinweise darauf, dass Frauen etwas besser bei Aufgaben abschneiden, die mit dem Sprachzentrum verbunden sind. Männer hingegen schnitten bei räumlichen Denken besser ab. Doch konnte dies nie eindeutig und absolut bestätigt werden. Denn am Ende kommt es, wie hier auch beschrieben, auf das Gehirn und die individuellen Fähigkeiten an. 

Da Frauen und Männer dieselben Hirnareale und Funktionsweisen besitzen, können beide Geschlechter auch erst einmal grundsätzlich dieselben Multitaskingfähigkeiten erlernen und anwenden. Des weiteren haben Studien gezeigt, dass Frauen genauso schlecht abschneiden wie Männer, sobald die Aufgaben kognitiv anspruchsvoller werden. Wenn es um das Gehirn geht, betrachten wir nicht Männer und Frauen, sondern Menschen. Natürlich können Frauen gewisse Fähigkeiten besser erlernt haben, als ihr Ehemann. Der Rückschluss auf alle Frauen und Männer kann jedoch nicht bestätigt werden.

Multitasking ist der Versuch die Aufgabenlast zu beherrschen

Ich hoffe ich konnte dir zeigen, dass Multitasking ein schönes Ziel ist, jedoch meistens schlichtweg nicht funktioniert und schon gar nicht des Rätsels Lösung ist. Wenn du zu viele Aufgaben auf deinem Tisch hast, dann versuche es nicht zu kompensieren, indem du alles parallelisierst. Darunter leidet die Arbeitsqualität und du wirst dich noch schneller erschöpft fühlen. Konzentriere dich auf eine Aufgabe, arbeite sie ab und erledige die nächste. 

Was hast du mitgenommen? Wie sind deine Erfahrungen mit Multitasking? Schreibe es mir in den Kommentaren.

In diesem Sinne: Bleib niemals wie du heute bist!