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Der Kluge gibt keinen ungebetenen Ratschlag, der Weise nicht einmal einen erbetenen.

Louis Pasteur

Prolog: Hören und verstehen sind 2 Paar Schuhe

Wir verbringen sehr viel Zeit mit der Kommunikation (lesen, schreiben, sprechen, zuhören) und doch entstehen viele Probleme auf Grund schlechter Kommunikation. Warum ist das so? Wir haben jahrelang lesen, schreiben und sprechen gelernt – wie sieht es mit dem Zuhören aus? 

Warum richtiges Zuhören wichtig ist, möchte ich mit der folgenden Geschichte von Stephen Covey verdeutlichen.

Nehmen wir an, du hättest Probleme mit den Augen. Deswegen gehst du zum Augenarzt. Er hört sich kurz deine Beschwerden an. Dann nimmt er seine Brille und gibt sie dir.

“Setzen Sie diese Brille auf. Ich habe sie jetzt 10 Jahre getragen und sie hat mir wirklich geholfen. Ich habe zu Hause noch einen Ersatz. Sie können diese Brille haben.”

Also setzt du seine Brille auf. Doch sie macht alles nur noch schlimmer. “Die Brille ist furchtbar! Ich kann überhaupt nichts sehen!”

“Woran fehlt es denn? Bei mir funktioniert sie prima. Geben Sie sich doch einfach ein bisschen mehr Mühe.”

“Das mache ich ja, doch alles ist ganz verschwommen.”

“Was ist eigentlich bei Ihnen los? Seien Sie doch mal positiv!”

“Okay, ich denke positiv und sehe trotzdem nichts!”

“Junge, Junge. Sie sind aber ganz schön undankbar. Und das nachdem ich soviel für Sie getan habe.” 

Was denkst du jetzt?

Diese kleine Geschichte steht symbolisch für viele Dialoge, wie sie ständig geführt werden. Hier werden mehrere Dinge aufgezeigt, auf die wir noch tiefer eingehen werden. 

  • Es wurde ein Ratschlag abgegeben, um eigene Erfahrungen auf jemanden überzustülpen
  • Der Ratschlag wurde auf Grundlage einer oberflächlichen Erläuterung abgegeben
  • Es entsteht ein Unwohlsein dem Augenarzt gegenüber, da der Ratschlag nicht passend ist
  • Der Widerwille dem nicht passenden Ratschlag gegenüber wird als Undankbarkeit interpretiert

Die meisten Problemgespräche laufen so ab, dass eine Person (Person A) einer anderen Person (Person B) kurz von ihrem Problem erzählt und sobald sie Luft holt, versucht Person B darauf zu antworten und erzählt eine ähnliche Geschichte. Anschließend versucht Person A wieder zurück zu ihrem Problem zu kommen und erklärt, warum ihr Problem etwas anders ist als das soeben gehörte. Und so reihen sich diverse Monologe aneinander, ohne dass ein wirkliches Gespräch entsteht. Es werden ständig eigene Erfahrungen auf das Verhalten anderer projiziert, ohne dass der Versuch unternommen wird, wirklich verstehen zu wollen. 

Wie du wirkliches Verständnis aufbauen kannst, wirst du erfahren nachdem wir uns noch tiefer mit (ungewollten) Ratschlägen befasst haben.

Warum Ratschläge nur selten zum Ziel führen

An dieser Stelle noch der kleine Hinweis, dass wir aus dem Consulting-Umfeld dafür bezahlt werden, weise Ratschläge von uns zu geben. Im beruflichen Kontext gehört es zu einer guten Beratung dazu, Ratschläge (Handlungsempfehlungen) zu geben. Wir haben also den Auftrag dies zu tun. Ich rede allerdings von Ratschlägen zu Partnerschaft, Liebeskummer, Lebenshilfe, berufliche Tipps oder sonstige gut gemeinte Hinweise. Und gerade für Personen aus dem Consulting-Umfeld ist es schwer, beruflich genau das zu liefern und sich ansonsten damit zurückzuhalten.

Wenn uns andere Menschen ein Problem anvertrauen, entsteht in uns meist das Bedürfnis zu helfen und dieses mit einem guten Ratschlag zurechtzurücken. Dieser gut gemeinte Ratschlag wird meist als hilfreiche Lösung eines Problems zum besten gegeben oder dient dazu, eine Aufgabe zu bewältigen. Wir Menschen wollen zeigen, dass wir etwas wissen oder können und geben daher gerne unsere Erfahrungen weiter. Wir meinen es gut mit unserem Ratschlag und sind glücklich, der anderen Person wirklich weitergeholfen zu haben.

Dabei wird allerdings vom Rat-Geber außer Acht gelassen, dass die gefundene Lösung aus den eigenen Erfahrungen und Hintergründen in einem besonderen Umfeld entsprungen ist. Sie war für eine Person mit eigenem Charakter, eigener Denkweise und Lebensart vielleicht richtig, doch ist sie es auch für andere Personen? Erfahrungen lassen sich nicht auf andere übertragen, da jeder Mensch ganz individuelle Erfahrungen gemacht hat. Für unterschiedliche Probleme kann also selten dieselbe Lösung die beste Option sein. 

Im nächsten Schritt kommt hinzu, dass Ratschläge diverse Gefühle bei der Person mit dem Problem auslösen können. Im besten Fall bedankt sie sich und versucht den Ratschlag zu beherzigen und darüber nachzudenken. Doch, wie in unserer Geschichte, kann das auch Unwohlsein hervorrufen, denn zwischen dem Rat-Geber und Rat-Nehmer entsteht durch den Ratschlag automatisch ein hierarchisches Verhältnis.

Auf der einen Seite kann das Bedürfnis des Gegenübers lediglich gewesen sein, sich einmal auszusprechen. Darüber hinaus kann der Ratschlag auch als Grenzverletzung wahrgenommen werden. Denn in Ratschlägen schwingen oftmals auch ein Tadel oder ein Vorwurf mit. Wenn dir gesagt wird, dass du etwas in Zukunft lieber anders machen sollst, heißt das gleichzeitig auch, dass du es bis heute falsch gemacht hast. Noch schlimmer wird es, wenn der Ratschlag Angst beim Gegenüber auslöst oder Druck aufbaut. Wenn die Person sich angegriffen fühlt und das Gefühl hat sich verteidigen zu müssen, kann ganz schnell die Stimmung negativ werden.

Es verhält sich mit (ungewollten) Ratschlägen wie mit der Brille. Der Patient hat das Bedürfnis wieder sehen zu können. Dafür ist ein Verständnis und eine genaue Diagnose notwendig. Stattdessen wurde dem Patienten eine Brille aufgezwängt, die für eine andere Person mit anderen Voraussetzungen bestimmt war. Wenn der Patient die Brille des Arztes hätte haben wollen, hätte er danach gefragt.

Wie kannst du stattdessen auf ein Problem einer anderen Person reagieren?

Warum einfühlendes Zuhören tiefes Vertrauen erzeugt

Wir haben in erster Linie alle das Bedürfnis verstanden / bestätigt / gelobt / anerkannt zu werden. Wenn du dich also jemanden öffnest und von deinen Problemen oder Herausforderungen sprichst, dann möchtest du von dieser Person verstanden werden oder gegebenenfalls Mitgefühl erhalten. Wenn du dir stattdessen Geschichten und Ratschläge aus dem Leben der anderen Person anhören musst, ruft das in dir automatisch ein Gefühl von Unverständnis hervor. Der Austausch von Erfahrungen führt demnach nicht dazu, das Bedürfnis nach Verständnis zu befriedigen. 

Es gibt 4 Antwortmöglichkeiten, wie wir jemanden zuhören können:

  1. Werten: entweder zustimmen oder anderer Meinung sein
  2. Sondieren: Fragen aus dem eigenen Bezugsrahmen stellen
  3. Beraten: einen Rat geben, der auf eigenen Erfahrungen beruht
  4. Interpretieren: versuchen, daraus schlau zu werden

Du kannst dir denken, dass wir nur durch das Interpretieren Verständnis aufbauen können. Dabei versuchen wir die Motive und das Verhalten unseres Gegenübers zu verstehen. Wir hören aufmerksam zu und versetzen uns in die Lage des Gegenübers. Dies kann mit einfühlendem Zuhören erreicht werden, was eine Ausbaustufe des aktiven Zuhörens darstellt. 

Aktives Zuhören bedeutet verstehen wollen

Zunächst einmal scheint der Begriff “aktives Zuhören” ein Wiederspruch zu sein. Denn Zuhören scheint auf den ersten Blick passiv zu sein. Unser Gegenüber spricht und wir müssen zuhören. Meist wirken Zuhörer dabei angespannt und teilweise gequält. Sie warten auf die nächste Gelegenheit, um dem anderen ins Wort zu fallen und wieder aktiv zu sein. 

Beim aktiven Zuhören geht es darum, dem Gegenüber die volle Aufmerksamkeit zu schenken und zu versuchen das Gesagte, also das Problem, wirklich zu verstehen. Wir sprechen beim aktiven Zuhören nicht von einer Technik, sondern von einer Grundhaltung. Es steckt mehr dahinter, als 3x “ja” zu sagen, zu nicken und auch einmal “interessant” zu sagen. 

Es geht um den Willen, das Problem des Gegenübers wirklich zu erfassen. Dabei ist es wichtig, so lange zuzuhören, bis der Gesprächspartner von sich aus der Meinung ist, alles gesagt zu haben. Wir vermitteln unserem Gegenüber demnach das Interesse an seinem Problem und zeigen, dass er nicht unterbrochen wird.

Das aktive Zuhören besteht aus drei Teilen. Neben den verbalen (aha / ja / tatsächlich etc.) und non-verbalen (entspannte Körperhaltung, Blickkontakt, freundlicher Blick, Kopfnicken etc.) Ermutigungssignalen ist es wichtig, das Gesagte in den eigenen Worten wiederzugeben. Dies unterstützt den Reflexionsprozess des anderen und vermindert Missverständnisse. Falls etwas falsch wiedergegeben wurde, kann der Gesprächspartner seine Ausführungen vervollständigen und das Missverständnis richtig stellen. Dabei werden selbstverständlich autobiographische Geschichten vermieden, um dem Gegenüber zu zeigen, dass man selbst so etwas auch schon erlebt hat.

Einfühlendes Zuhören ist mehr als aktives Zuhören

Stephen Covey hat 5 Stufen des Zuhörens benannt.

  1. Stufe: ignorieren
  2. Stufe: so tun als ob
  3. Stufe: selektiv zuhören
  4. Stufe: aufmerksam zuhören
  5. Stufe: einfühlendes Zuhören

In den ersten drei Stufen stehen die Bedürfnisse des Gegenübers nicht im Fokus. Erst bei der vierten Stufe sprechen wir von Aufmerksamkeit dem Gesprächspartner gegenüber. Das aktive Zuhören kann auf dieser vierten Stufe angesiedelt werden. Es geht darum, den Gesprächspartner nicht zu unterbrechen und die volle Aufmerksamkeit zu schenken. 

Für wirkliches Verständnis ist es allerdings erforderlich den Menschen voll und ganz verstehen zu wollen, intellektuell und emotional. Dabei wird mit Ohren, Herz und Augen zugehört, um den Sinn hinter den Worten zu verstehen. Das einfühlende Zuhören ist eine Fähigkeit, die persönliche Charakterstärke und Empathie voraussetzt. Nur so kann dich die andere Person im eigenen Tempo zum Problem führen, ohne verurteilt zu werden.

Das einfühlende Zuhören baut auf den Elementen des aktiven Zuhörens auf. Die Worte des Gegenübers werden wiederholt und neu formuliert. Durch das neue formulieren wird das eigene Gehirn angeregt, selbst über das Gesagte nachzudenken. Darüber hinaus werden beim einfühlenden Zuhören auch die Gefühle des Gegenübers reflektiert. Es ist wichtig zu sagen welche Gefühle man beobachtet und auch welche Gefühle bei den gesagten Worten in einem selbst ausgelöst werden. Dadurch wird dem Gegenüber geholfen, die eigenen Gedanken und Gefühle zu ordnen. Die Einbeziehung der Emotionen schafft Vertrauen und baut die Barriere zwischen Worte und Emotionen ab. 

Dabei ist es wichtig, die Perspektive des anderen einzunehmen, allerdings ohne mehr in die Worte zu interpretieren als das was wirklich gesagt wurde. So wird auch eine mögliche Verteidigungsposition des Gegenübers vermieden. Dadurch wird ein hohes Maß an Wertschätzung signalisiert und kann die Grundlage sein, um gemeinsam nachhaltige gute Problemlösungen zu finden.

Einfühlendes Zuhören kostet Zeit und Fleiß. Doch ist es noch schwerer Missverständnisse aufzuklären, wenn die Dinge bereits ihren Lauf genommen haben.

Wie du wirklich mit Problemen anderer umgehst

Wir haben darüber gesprochen, dass Ratschläge in den wenigstens hilfreich oder erwünscht sind. Zwischen zwei Menschen können vor allem die ungewollten Ratschläge eine Gesprächssituation zu einem negativen Ausgang führen oder sogar einen Konflikt hervorrufen. 

So führen ungewollte Ratschläge gerade in Beziehungen zu einem großen Dilemma. Auf der einen Seite möchte der Rat-Nehmer sich von seiner besten Seite zeigen und die erhaltenen Ratschläge auch umsetzen. Auf der anderen Seite gerät die Person dadurch in Gefahr, die eigene Freiheit zu verlieren. Zu viele gute Ratschläge können also das Gleichgewicht stören und hohen Druck aufbauen.

Wie kannst du also vorgehen, wenn Menschen mit einem Problem zu dir kommen oder vor einer Herausforderung stehen?

Der wichtigste Ratschlag ist, keine Ratschläge zu geben, sofern nicht explizit danach gefragt wird. 

Stattdessen fokussierst du dich darauf, dein Gegenüber wirklich zu verstehen. Höre aktiv zu und spiegle deine Beobachtungen wider. Durch gezieltes Nachfragen kannst du neue Eindrücke gewinnen und herausfinden, wie dein Gegenüber die Situation wirklich empfindet und beurteilt. 

Solltest du doch einmal den Eindruck haben, dass dein Gegenüber sich verrennt oder davor steht einen großen Fehler zu begehen. Und nur ein Ratschlag von dir ihm daraus helfen kann, dann sei dir zunächst sicher, das Problem genau verstanden zu haben. Anschließend ist es wichtig, deinen Ratschlag mit Ich-Bezug zu geben. Dadurch appellierst du an das Verhalten (Ich habe das Gefühl, du verhältst dich…) deines Gegenübers, statt an die Eigenschaft (Du bist…). Solange du von dir selbst sprichst, kann dein Gegenüber nicht verletzt werden. Doch bevor du den Ratschlag von dir gibst, frage zumindest um Erlaubnis.

Die Umsetzung im Alltag

Zum Schluss noch ein paar Tipps, wie du mit notorischen Ratgebern umgehen kannst. 

Ich selbst war auch einmal einer dieser notorischen Ratgeber. Anfang meiner 20er Jahre hatte ich bereits viel in meinem Leben geschafft und die Weisheit mit Löffeln gefressen, dachte ich. Ich habe vor allem im nahen Umfeld keine Gelegenheit ausgelassen, mein Umfeld zu einer Erkenntnis zu verhelfen. Dass sie das tierisch genervt hat, hab ich gar nicht verstehen können. 

Die beste Möglichkeit im Umgang mit solchen Ratschlägen ist es, ruhig und gelassen zu bleiben. Doch je mehr diese sich häufen und summieren, fällt das immer schwerer, vor allem wenn sie auf besserwisserischer Art und Weise verteilt werden. Dann hilft es, dich zu bedanken und ihnen bestimmend widerzuspiegeln, dass du bereits darüber nachgedacht hast. 

Eine eher konfrontative Möglichkeit ist es, dein Gegenüber mit Gegenfragen zu entgegnen und ihm so deinerseits auf die Nerven zu gehen. Oder du bietest ihm eine Wette an, wer letztendlich Recht hat.

Was sind deine Erfahrungen mit ungewollten Ratschlägen? Schreibe es mir in den Kommentaren.

In diesem Sinne: Bleib niemals wie du heute bist!